Hertha ist Meister

zweiter Klasse und zurück in der Bundesliga, der Schreck vom 5. Abstieg in einer langen Fankarriere weicht langsam dem Kick des 6. Aufstiegs.
Jetzt wird hier vorrangig die “Alte Dame” pflegerisch versorgt und zwar in den Grauzonen zwischen Vollnarkose und künstlichem Koma.
Der Titel dieses Blogs, an die breite Brust der Hartplatzhelden angelehnt, ist mehr oder weniger als ein ironisierender Gegenpol dazu konzipiert:

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Im Gegensatz zu den Helden soll sich hier bei den Memmen alles um Albern- und Eigenheiten sowie Abartig- und Unwägbarkeiten des Profifußballs drehen: Polarisierende Polemiken, polternder als die Polizei entlaubt, polychrom und polyvalent aber immer einseitig und meistens zweideutig, mindestens.

Bloggern als selbst verordnete Therapie für in die Jahre gekommene, gänzlich desillusionierte Fußballfans, zum Stressabbau und zur Ausbalancierung des seelischen Gleichgewichts, gegen hohen Blutdruck und alles ganz ohne Missbrauch von Betäubungsmitteln, Prost!

Wunderknalltüte Hertha

Tief einatmen! Die Leistung in der Abstiegssaison von “olle Hertha” und besonders die wie vom tasmanischen Teufel zu Schanden gerittene Hinrunde, die dann aber tatsächlich noch die Heimspielbilanz der absoluten Grottensaison 90/91 mit einem Negativrekord für die Ewigkeit unterbieten konnte, ist allerdings geeignet gewesen, jedem ihrer Spielkameraden den Titel dieses Blogs ehrenhalber verliehen haben zu können. Und ausatmen!

Als einer ihrer Verehrer, die noch hin- und mitgerissen wurden von den legendären Kämpfen gegen Alsenborn und RWE, deren Spannung zwischen Großstadt- und Dorfverein eine Generalmobilmachung der fußballerisch völlig ausgehungerten hermetisch eingeschlossenen Frontstädter ausgelöst hatte, ist man von “Madame” natürlich Einiges gewohnt.

Straßenfußballer

Als Straßenfußballer (Fritsche/Schiller), der für gewöhnlich jede freie Minute auf dem Bolzplatz zugebracht hatte, konnte man besonders dort dem Sog der Euphorie des Aufstiegskampfes nicht entkommen, die ganze halbe Stadt war total aus dem Häuschen und stand wie ein Mann hinter der Alten Dame. Dass man bei TeBe beim Probetraining zur 2. F- oder 3. E-Jugend gescheitert war, spielte dabei dann auch nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Die immer noch gerne propagierte Forderung nach mehr Straßenfußballern, die es vermeintlich nicht mehr geben würde, war nach meinen Erkenntnissen auf dem Bolzplatz eigentlich immer schon eine ungezielte Desinformation, die aus Unkenntnis und Phantasielosigkeit von “Experten” resultiert und von noch ahnungsloseren Reportern und Kommentatoren medial zu abgeschmackten Appetithäppchen verhackstückt immer wieder gerne gereicht werden. Die besseren Kicker in jeder Straßenmannschaft waren in allen Fällen, die mir bekannt sind, Stammspieler in ihren jeweiligen Vereinen und zwar spätestens seit der F-Jugend, 1. Mannschaft versteht sich.

Damals war `s

Die Massen stürmten ins Olympiastadion und der jüngere Teil darüber hinaus nach Abpfiff auch noch gerne den Platz, der kalte Krieg in der Frontstadt fing an gemütlich zu werden, und Hertha avancierte zum Publikumskrösus der Bundesliga. Wenn man die Aufstiegsrunden zur Bundesliga statistisch gesehen der 2. Liga zuschlägt, hält Hertha sämtliche Zuschauerrekorde (85T gegen RWE).

Das Stürmen des Platzes wurde früher mehr oder weniger unaufgeregt unter Fußballfanfolklore abgehandelt, heute geht ein gellender Aufschrei durch Blätterwald, Äther und Kabel über ein Gros Herthaanhänger, deren Frustrationstoleranz bis weit über Anschlag ausgereizt wurde und die nach einem Dutzend Schicksalsheimspielpleiten nicht mehr wussten wohin mit der aufgestauten Verzweiflung, so dass schon aus rein gesundheitsprophylaktischen Erwägungen eine demolierte Ersatzbank von Doc Schleicher quasi gleich vor Ort rezeptiert hätte werden können, vielleicht sogar müssen, gegen entsprechende Praxis- und Rezeptgebühr versteht sich, – damals war lediglich der Platzwart etwas aufgewühlt.

Hertha hatte seinerzeit alle Anlagen, um sich in der Ligaspitze auf Jahre festzusetzen, mit dem damaligen Rekordtransfer des Alsenborners Lorenz Horr wurde die unliebsame Konkurrenz in die dafür vorgesehene Versenkung zurück geschickt und tauchte nie wieder auf, vom Club wurden Verstärkungen wie Goldköpfchen Brungs und Karl-Heinz Ferschl verpflichtet, so dass der sich als Meister aus der Bundesliga verabschieden musste, von den Löwen wurde Nationalverteidiger Bernd Patzke geschossen, und die Sechziger der Siebziger waren bestenfalls zweitklassig. Der absolute Knallertransfer war aber Zoltan Varga von den legendären Pusztasöhnen! Auf dem Buddelplatz kam man aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus: “Besser als Puszkas, öfter als Bozsik!” war der einhellige Tenor, die Meisterschaftsgesänge wurden schon mal angestimmt, in froher Erwartung und im hellsten Knabensopran.

Was bisher geschah

Hertha war auf dem besten Weg zum Dauerrivalen des FCB um die deutsche Meisterschaft zu werden, die Transferpolitik “Dicke Hose, Tiefe Tasche” ist ursprünglich auch eine originär Berliner Spezialität (Wat kost die Welt?) gewesen, die Ledervariante kam erst etwas später. Das war eine Mentalität, die sich dann natürlich auch im Herthakader niedergeschlagen hat.

SKANDAL!

Mit einer tief beeindruckenden Mannschaftsleistung in nie wieder gesehener Geschlossenheit beendete Hertha die Saison 70/71, der Urlaub wurde schon ein bisschen vorverlegt und die Kasse dafür noch etwas aufgebessert. Am ersten Urlaubstag gab es bei der Geburtstagsparty zum 50. von Horst-Gregorio Canellas, einem Gemüsegroßhändler der bissfesteren Art und Präsident von Absteiger Kickers Offenbach als Höhepunkt einen Telefonmitschnitt: Zu hören war wie Herthaverhandlungsführer Bernd Patzke um den vergeblichen Liebeslohn kobert und dabei eine Arbeitsauffassung wie die sprichwörtlich gewordene Hafennutte (E. Geyer) an den Tag legt.

Die Stützen in Herthas Abwehr Patzke und Wild, die die Prämie mit Arminia Bielefeld ausgehandelt und an alle Mitspieler verteilt hatten, waren somit zur neuen Saison gleich weg gebrochen, die Beteiligung der restlichen Spielkameraden kam häppchenweise aber dafür vom Unappetitlichsten auf den Tisch des Hauses einer gramgebeugten Trümmerfrau. Nur die Husarensöhne preschten, von blanker Geldgier getrieben, vorzeitig aus der Deckung in Angst, man wolle sie um ihren Anteil bringen, dass man getrost die Sturmabteilung aus der Titulierung streichen konnte.

Der alles krönende Jahresabschluss 1971 war folglich das DFB-Pokalrückspiel (Hinspiel 3:1) gegen Schalke, bei dem Zoltan Varga trotz fehlender Spielberechtigung eingesetzt wurde und aus einem schönen 3:0, was fürs Weiterkommen gereicht hätte, am grünen Tisch ein 0:2 wurde und Schluss in Runde 1, im Endeffekt war es Schiebung gegen Betrug, Verschaukeln vs Beschupsen und Schalke gewann den Pott auch noch mit dem Rekordergebnis von 5:0 gegen Lautern.

Fußballfandasein

Das war die erste schroffe Klippe, auf der man als Herthafan auch hätte zerschellen und versaufen können, besonders wenn man die Mittelstufe (Kl. 7-10) in der südniedersächsischen Diaspora verbringen musste und Bundesligafußball nur noch im Fernsehen verfolgen konnte, von einer Fahrt meiner Schülermannschaft (C-Jugend) zu einem Gastspiel der Bayern im Niedersachsenstadion mal abgesehen. Allerdings waren Stadionbesuche auch in Berlin im Grundschulalter die absolute Ausnahme und nur mit gesponserten Schülerkarten möglich, dafür war die Bude dann auch rappelvoll.

Ete Beer hat die Siebziger für die Hertha dann praktisch im Alleingang aus dem Abseits rausgedribbelt, dafür wurde allerdings die Plumpe verhökert um den Spielbetrieb erstklassig zu erhalten. Was möglich gewesen wäre für die “Skandaltruppe”, darüber nachzusinnen, tut nach fast 40 Jahren immer noch weh.

Wird aber nächste Woche fortgesetzt!

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 26. Mai 2011 um 23:57 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Allgemein, Helden, Hertha abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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1 Kommentar

  1. Da ich, anscheinend wie Du Männe, ebenfalls den Großteil meiner Freizeit in den frühen 70ern als Jugendlicher Kicker im Westteil der ehemals geteilten Stadt auf Bolzplätzen, in Käfigen, auf Schotter und auch Rasen Fußball spielend verbrachte, rufen Deine Schilderungen verschollener Ereignisse rund um unsere Hertha viele schöne Erinnerungen bei mir wach. Neben Günter Netzer (wegen seiner Haare, seiner Spielkultur und seinem Querdenkertum) sowie Paul Breitner (wegen seiner Haare, seiner Spielkultur und seinem Querdenkertum) gehörten Herthas Lorenz Horr und Ete Beer mit ihren vielen Toren zu den Helden meiner Jugend.

    Kommentar: Berlin Tiergarten – 31. Mai 2011 @ 16:45

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