Fernsehfußball

Fortsetzung von "Hertha ist Meister"

Sportschau

Hauptnahrungsquelle für die fußballhungrige Fanseele war damals wie heute das Fernsehen, die Berichterstattung über den Skandal war mit Abstand das unschmackhafteste und unbekömmlichste was dem jugendlichen Fan serviert werden konnte, man war ruckzuck grazzesatt, so dass die weitere Nahrungsaufnahme an Skandalnudeln folglich verweigert wurde. Die gebotene Fußballvollkost der DFB-Auswahl und der Bayern mit internationalen Titeln à la Carte und das grandiose Direktspiel (One touch football) der Fohlenelf entschädigte für den erbarmungswürdigen Fraß, den man von Funktionärsseite bis zur WM 74 per Gnadenakt restlos abgeräumt und verdaut haben wollte, der einem aber die ganzen Siebziger gelegentlich noch sauer aufstieß.
Bundesligafußball fand ausschließlich in der Sportschau und im Aktuellen Sportstudio statt, man glaubte zu der Zeit noch, dass Direktübertragungen die Zuschauer aus den Stadien fernhielten. Spiele in den Europa-Cups wurden grundsätzlich nicht übertragen, wenn ein zeitgleich stattfindendes Spiel darunter hätte leiden können.

Starkult

Zur WM in Mexiko 1970 war das Fußballfieber im Rahmen der Nachwuchsmaschendrahtkäfighaltung auf dem absoluten Höhepunkt angelangt und ich hatte zum ersten und einzigen mal Fußballerbildchen gesammelt, die Idolisierung von Fußballern griff immer mehr um sich, die größte Nummer im Weltfußball war natürlich Pelé, auf dem Bolzplatz ohne Akzent. Mein Favorit war Gigi Riva, der kostspieligste Kicker seiner Zeit mit dem wohl rasantesten Namen, der sich für mich damals anhörte wie der “Zug zum Tor” bei rasender Durchfahrt durch den “Großen Bahnhof” und vielmehr war von Riva auch nicht zu sehen gewesen, aber Italien war damals vor allem für Fußballer das Land der Träume.

Ententanz

Der beeindruckendste Spieler, vor allem weil er regelmäßig in der Sportschau zu sehen war, unvergesslich in seiner Art zu spielen, war Willi “Ente” Lippens, ein einmaliges Bewegungsnaturtalent hart an der Grenze zum -wunder, jeder Schritt eine Körpertäuschung, der an guten Tagen ausverkaufte Stadien schwindelig spielen konnte, und den Ball lieber vertändelte als zu verschießen. Als Ruhrpott-Garrincha für die Stehplatzränge wurde er mit großem Abstand der beliebteste Holländer in Deutschland, mit einer beispielgebenden Integrationsleistung, die in erster Linie darin bestand, dass er von hause aus eigentlich Niederrheiner ist und zu gekonnten Verbaldribblings ansetzte, da wo sonst auf Kritik “Ja gut, – ich sach ma, – kann man so sehen.” schon als schwer verplauscht betrachtet wurde und die meistens auch treffend abschloss.
Dafür konnte er kein Holländisch und wollte nicht für Deutschland spielen weil Vati ihn nicht mehr zuhause rein gelassen hätte. Bei den niederländischen Starkickern war die Rivalität zum deutschen Fußball allerdings so groß, dass er auch wegen seiner spärlichen Sprachkenntnisse schon als Halbnazi verunglimpft wurde und über einen Einsatz nicht hinaus kam. Einen Koffer aus Berlin hätte er auch haben können, 600 K reichten dann leider nicht, ihn aus dem Pott in die Frontstadt zu locken, Mauern lag ihm einfach nicht.

1. Abstieg

Beim ersten Mal tut es ja noch besonders weh, vor allem wenn man Mitte der Rückrunde mit der 1. Liga schon abgeschlossen hatte und dann brechen tatsächlich Fiffis Aufhohljäger durchs Unterholz und pirschen sich noch mal richtig ran, um letztendlich von Otto Rehagels Fortuna mit 4 Glückstreffern immer genau auf das Schlimme zur Strecke gebracht zu werden. Fiffi ist denn auch gleich auf Rente, Otto ist bei Werder für Kuno Klötzer eingesprungen, der vorher schon unsere Hertha versenkt hatte, und hat da eine Ära begründet.
Das Trainerkarussell drehte sich schon genau so schnell wie heutzutage, was der richtige Trainer beim passenden Verein bewirken kann, haben Weisweiler in den 60er und 70ern bei Gladbach und Rehagel in den 80er und 90ern bei Werder vorgeführt. Drei bis vier Übungsleiter konnten aber auch schon mal gebraucht werden, um definitiv zu ermitteln, dass eine Mannschaft die Klasse für die Liga nicht hatte und manchmal ist es auch umgekehrt. Uwe Klimaschefski war bedauerlicher Weise nur ein Zweitligatrainer, der mit bedingungsloser Offensive die Massen wieder ins Olympiastadion lockte, wo wir mit ansehen mussten, wie die Mitabsteiger Bremen und Braunschweig sich die Punkte jeweils in der Schlussphase schnappten und Hertha in Liga 2 zurück ließen. Die Niederlage gegen Braunschweig im Mai 81 war die kälteste Dusche, die im Olympiastadion bislang verabreicht wurde, härter wurde Euphorie noch nicht ausgebremst.

2. Auf- und Abstieg

Georg Gawliczek hatte im Winter 81/82 dann von Klima übernommen und Hertha zurück ins Oberhaus gecoacht, ein Pyrrhussieg wie aus dem Bilderbuch. Der Berliner, also der Originale, der vor allem was sehen will für sein Geld, hatte den haarscharf verpassten Aufstieg in der Saison davor völlig zu recht als persönliche Beleidigung aufgefasst und die Alte Dame mit Missachtung gestraft und die stand von allen guten Geistern verlassen im letzten löchrigen Hemd im kalten Liebesentzug.
Gawliczek sorgte für eine andachtsvolle Beerdigung 3. Klasse, ein letztes Aufbäumen wurde halbherzig angedeutet mit dem untauglichen Versuch sich in der Winterpause mit dem versehrten Altstar Rainer Bonhof zu verstärken, den man in einer sozialen Aufwallung das letzte verfügbare Bare als kleines Zubrot in den verdienten Ruhestand nachgeworfen hatte.
Ganz schwach angefangen, richtig stark nachgelassen und hinten raus noch völlig eingebrochen, aber dafür die ganze Kohle restlos verballert, das war die Abstiegssaison 82/83, auf die die totale sportliche Bedeutungslosigkeit folgte.

Poststadiontraumatisches Überlastungssyndrom

Von Funktürmen in hoffnungslosen Abwehrschlachten, Riegel-Rudis, die auf der Durchreise vom Himalaya zur Südsee die Tür nicht zu kriegten und Wundermännern, die nicht mal die billigsten Taschenspielertricks beherrschten soll hier gar nicht die Rede sein, es war teuer genug, das dem Vergessen anheim zu zahlen oder wie Falco gesagt hatte: “Wer sich an die 80er erinnern kann, hat sie nicht miterlebt.”
Als Herthafan war das absolut überlebensnotwendig.

nächste Woche: "Struggle of Unity"
Dieser Beitrag wurde am Sonntag, 05. Juni 2011 um 11:52 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Allgemein, Helden, Hertha abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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4 Kommentare

  1. Wer sein ganzes Leben einem Profi-Fußball-Verein verschrieben hat, muss hart oder besser Hertha-gestählt sein. Denn es warten auf den wahren Fan unzählige Durststrecken, teilweise auch biblischen Ausmaßes, die psychisch und demzufolge auch immer körperlich an Belastungsgrenzen führen. Beispiele für garstige Tiefpunkte einer Fußball-Fan-Seele sind ausnahmslos: Ein Abstieg aus der 1. in die 2. Liga, ein Abstieg aus der 2. in die 3. Liga, ein Zwangsabstieg am grünen Tisch oder auch die schändliche Bestechung Deiner Lieblinge durch windige Betrüger. Umso stärker die Identifikation mit Mannschaft und Verein ist, umso stärker wirkt auch der Frustfaktor, wenn es sportlich und ideell gerade steil bergab geht.

    Als Hertha-Fan schwebt man aktuell allerdings auf Wolke 7. Dem schauerlichen und irgendwie auch unfassbaren Abstieg 2010 folgte das Wunder eines sofortigen Wiederaufstiegs 2011. Für Hertha BSC ist dieser Aufstieg hoffentlich der Startpunkt einer sportlich erfolgreichen und vielleicht sogar glorreichen Zukunft. Die lebenslängliche Hoffnung des Fans auf Pokalsieg oder Erstliga-Meisterschaft stirbt schließlich zuletzt.

    Kommentar: Linienrichter – 09. Juni 2011 @ 11:18

  2. Kleiner Nachtrag: Nur ein einziges Sticker-Album 1970 enttäuscht mich jetzt aber doch ziemlich.

    Kommentar: Linienrichter – 09. Juni 2011 @ 11:21

  3. Die richtig abgeherthaten Fans harren stoisch dem Saisonverlauf, die letzte Zweitligameisterschaft in dunkler Erinnerung und in heller Panik im Andenken an die folgende Bundesligaspielzeit.

    Kommentar: maenne – 09. Juni 2011 @ 14:52

  4. [...] zu werden. Der Versuch danach mit Hertha in die Bundesliga zurück zu kehren, ist hier schon als eine der schwärzesten Stunden beschrieben worden. Dann wechselte er zu einer anderen Trainerlegende, die hier auch schon hinreichend [...]

    Pingback: » Hertha verspielt Tabellenführung | …wenn nicht nur das Deo versagt – 21. August 2013 @ 23:50

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