50 Jahre Herthafan, einfach goldig

Jugendrebellion

Im Frühsommer 68 hallten durch die Nebenstraßen der Pestalozzistraße im beschaulichen Charlottenburg aus tausenden Kehlen Straßenkampfparolen:
Rechts in der Windscheid “Ho Ho Ho Chi Minh” mit der Aufforderung “Bürger laßt das Gaffen sein, kommt herunter, reiht euch ein!” und “Bürger runter vom Balkon, unterstützt den Vietkong!”, der Bürger kam bekanntlich nicht, sondern stänkerte nur was von Arbeiten und Haareschneiden.
Kleine Jungs mussten dann aber mal gucken gehen, wohin der Tross marschierte. Vor der Oper wurden Ami-Flaggen verbrannt  und angestrengt Texte aufgesagt.
Ähnliche Texte hatte ich aber auch zu hause, Sonntags zum Hühnchen.
Es aßen sich gegenüber unser Großer “Rote Zelle Jura” im Angriff und unser Alter “Persilscheinurteil Mitläufer” in der Verteidigung, das Ergebnis dieser Revision: Essstörung, meinerseits – lebenslänglich.

Ein Fluchtweg aus diesem Spannungsverhältnis führte nach links in die Fritsche zum Bolzplatz, wo nicht ganz so zahlreich und lautstark aber fast noch entschiedener “Ha Ho He Hertha BSC” und “Nieder mit den Alsenborn!” skandiert wurde. Nachdem Hertha in der Pfalz verloren hatte, war der Aufstieg, den ganz Berlin – also die eingemauerten – ganz fest ins Auge gefasst hatte und der als selbstverständlich betrachtet wurde, gefährdet.
Der Bürger kam denn doch noch vom Balkon und strömte in Massen ins Olympiastadion und Hertha schaffte souverän den Sprung ins Oberhaus, wo man gleich zum Zuschauerkrösus avancierte und Stammspieler vom Meister verpflichten konnte. Auf dem Bolzplatz grenzte die Begeisterung für “Goldköpfchen” Brungs an Raserei, in der 2. Saison war Hertha in der Spitze der Bundesliga angekommen.
Der freie Eintritt für Kinder sorgte dafür, dass die Kaulquappen auf dem besten Weg waren, im Froschkonzert mit zu quaken, der Bundesligaskandal war dann allerdings eine Kröte, an der man sich in dem Alter nur verschlucken konnte, von Verdauen gar nicht zu reden, so dass es letztlich nur zu Unken reichte.
Der Zerfall des hoffnungsvollen Kaders aus akuter Geldgier führte direkt in die Pleite, die Plumpe wurde versilbert, die Kohle gleich wider rausgehauen, so dass noch ordentlich Fußball gespielt wurde, vor allem von Ete Beer und Larry Horr, der einzige der den Bestechungsskandal heil überstanden hatte.
Wenn man aber mal richtigen Krach und viele Leute erleben wollte, ist man zu der Zeit zum Kaiserdamm und hat die Parade unser alliierten Beschützer mit abgenommen: Dieselmotorengedröhn und Panzerkettengerassel vom Ohrenbetäubensten – der Geruch und das Geräusch von Freiheit und Sicherheit.

Fernsehen war auch neu für mich und brachte Fußball als leicht zu konsumierende Häppchen, der Stadionbesuch, obwohl gratis, war relativ anstrengend und zeitraubend und Sportschau, unser Fernseher konnte nur Erstes und Osten, war einfach bequemer und übersichtlicher. Hier noch ein Link dazu vom Beginn dieses Blogs: Fernsehfußball.

Erwachsenwerden

Wie man es als Fan durch die 80er geschafft hat, unbeschadet kann man nicht unbedingt sagen, sondern wie man es bei Helmut im “Blue Note” auf´m Klo nachlesen konnte:

KPD/ML Sieg im Volkskrieg,
HSV/BL Sieg im Volkspark,
LSD/XL Sieg im Vollrausch.
Realität ist was für Leute, die nicht mit Drogen umgehen können.

Die Poststadiontraumatische Belastungsstörung konnte so einigermaßen glimpflich überwunden werden, genau wie die panische Angst vor einem akuten Hungerast.

Dann wollte ich eigentlich noch die Verwirrungen der deutschen Einheit behandelt haben, war ich nicht mehr zu gekommen, nie wurde eine dermaßen vernichtende Niederlage so ausgiebig gefeiert.
Dass in Berlin in den 90ern an Runden Tischen mehr los war als auf eckigen Plätzen, war das Eine, was die Hertha im nationalen Überschwang und nach dem Gewinn der WM angeboten hatte, kann fanlicherseits nur als Höchststrafe beschrieben werden, obwohl man zur Einheit wieder erstklassig wurde. Dabei hielt man die rote Laterne durchgängig so fest umklammert, dass man es wirklich nicht mit ansehen konnte, zumal der Freizeitpark Ost ständig geöffnet hatte. Trotz der hoffnungsvollen Nachwuchskicker wie M. Basler (”Bis zum Hals Weltklasse.” Trainer B. Stange, durch und durch Vollstasi), N. Kovac, K. Ramelow eierte man lustlos und frustgesteuert in der 2. Liga rum.
Mit der Gestaltwerdung der Hauptstadt taten sich wirtschaftliche Perspektiven auf, wo sich bei der Alten Dame einige seriöse Herren als Wirtschaftsrat um die Haushaltskasse verdient gemacht haben.
Und dann kam Dieter.
Er war zwar nur 3. Wahl aber im Raushauen der Kohle hat er auch den einen oder anderen Treffer gelandet, mit der Verpflichtung von “Lulu” Favre hätte es sogar fast mit der Meisterschaft geklappt, wenn nicht eine Oberpfeife an seinem saumäßigsten Nachmittag aus dem 6-Punktespiel des letzten halben Jahrhundert die Farce des neuen Jahrtausend gemacht hätte. Die Chance für Hertha, die Meisterschaft zu gewinnen, hätte die alte Wundertrantüte auch im letzten Spiel bei einem Abstiegskandidaten grandios vergeigen können, aber mehr Spannung wäre nicht gegangen. So muss man denn wohl alle Hoffnung auf den Titel fahren lassen, man weiß nur noch nicht wohin.

Kulturschandmale

Die Modernisierung der Bundeshauptstadt mit dem Prunkstück des höchsten Kanzlerbungalow der Welt und dem altmodischstem Fußballstadion Deutschlands schreitet immer noch weiter aber unaufhaltsam voran.
Bei der Renovierung des Olympiastadions hatte man versäumt einen ordentlichen Neuanfang hinzulegen, den alten Quatsch abzureißen und den ganzen Breker-, Thorak- und Meller-Muschelkalkmist auf den Müllhaufen der Geschichte endzulagern. Das wäre mein Entwurf gewesen für das Holocaust- Mahnmal.
Die schönsten Stücke hätte man auf einem Tieflader sehr schön in der Rushhour und im Schritttempo die Paradestraße runter deportieren können, den Rest natürlich bei Nacht und Nebel. Kunst muss auch ein bisschen weh tun, HA Schult-Fans wären völlig aus dem Häuschen gewesen vor Begeisterung, da hat der Meister leider völlig versagt. Die aufgetürmten Stücke, Sockel und Statuetten hätte man akkurat mit einem fettstabilen Stacheldraht- Doppelzaun umfriedet, dazwischen eine Patrouille, natürlich mit deutschen Schäferhund und nächtens voll beleuchtet, dazu die passende Baracke als Informationszentrum.
Das Ganze abgerundet mit der gläsernen Autowaschanlage auf dem Ernie bei der permanent ein Mercedes übergebürstet wird.
Für die fälligen Bußgelder des Dieselskandals sollte dringend ins Auge gefasst werden, den Vorschlag nochmal aufzugreifen, und für jede deutsche Automarke eine Anlage zu installieren und die Karren pausenlos, vor und zurück in Unschuld zu waschen, für den Platz ein großer Gewinn.
Die Chance auf eine Entästhetisierung der herrschenden Erinnerungskultur, bei der das Grauen im Erhabenen verniedlicht wird, wurde mal wieder verpasst, so dass alle Gedankengänge zur Deutschen Leidkultur in aller Gemütlichkeit in Posemuckel enden.

Midlifecrisis

Die Auflösung der Zwangsehe von Dieter und Hertha war mangels Masse unvermeidlich, dass ein Liftboy die Nachfolge antreten musste, muss man dann als das tragische Ende der Trilogie betrachten. Wie Dieter in Wolfsburg dann einen Meister mit richtig viel Geld zu einem Abstiegskandidaten gemanagt hat, war die dazugehörige Groteske, bei der die Helden auf ihre menschlichen Unzulänglichkeiten reduziert werden, was mich nur notdürftig versöhnen konnte, aber immerhin.

Ende Februar bin ich dazu gekommen mir ein Spiel in der Alten Försterei anzusehen, gegen Sandhausen durchschnittliche Zweitligakost, aber das Stadion, Stehplatz Gegentribüne keine 10 Meter von der Seitenlinie entfernt, bietet schon ein anderes Zuschauerlebnis, die Stadt ist allerdings immer noch sehr geteilt, sie wird in der Innenstadt vom Westen gerade aufgerollt, aber Köpenick ist noch voll ostig. An zusätzlicher Entfremdung wird auch noch akribisch gearbeitet

Die Alte Dame braucht dringend eine neue Unterkunft, da sind sich ja fast alle einig. Mein Vorschlag wäre der Osten, der Osten vom Flughafen Tegel am Rande des Wedding. Hoch, laut, eng und ruhig ein bisschen größer als neben  dem Oly geplant.
Hertha scheint sportlich im Zentrum der Mittelmäßigkeit angekommen zu sein und will da anscheinend erstmal nicht mehr weg, dazu hier demnächst mehr.

“Die Mannschaft” in Russland verdient auch noch eine Würdigung: Aufregung und Spannung im Übermaß von Anfang an. Viel mehr kann einem eigentlich gar nicht versprochen werden.

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 20. Juni 2018 um 02:09 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Allgemein, Helden, Hertha, Memmen abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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